„Dann sehen wir uns nächsten Sonntag wieder!”, hieß es wöchentlich auf dem Kirchenplatz, doch durch die Pandemie verstummte das Getratsche im Pfarrheim, im Kaffeehaus und eben auch vor der Kirche. Das Pfarrumfeld stellt in kleineren Gemeinden oftmals, neben den religiösen Aspekten, auch einen sozialen Treffpunkt dar.
Durch die COVID-19 Pandemie und die damit einhergehenden Maßnahmen zu ihrer Eindämmung kam es auch innerhalb dieses sozialen Raums zu Beschränkungen und Veränderungen. Wie sich diese auf die sozialen Wirklichkeiten und Interaktionen der Kirchenmitglieder ausgewirkt haben, hat unsere studentische Feldforschung im Rahmen des Studiums der Politikwissenschaft an der Universität Wien beleuchtet.
Die Datenerhebung erfolgte mithilfe von Interviews und offener Beobachtung in einer Gemeinde mit zirka 3.000 Einwohner*innen im ländlichen Niederösterreich. Das Studierendenteam führte die Beobachtungen während eines Firmgottesdienstes im Juni 2022 durch und wollte so die Implementierung der herrschenden COVID-19-Maßnahmen im kirchlichen Kontext nachvollziehen. Die Interviews wurden von den Forschenden immer zu zweit geführt, wobei Gemeindemitglieder interviewt wurden, die in Alter, Geschlecht und Stand in der Pfarrgemeinde variierten.
Organisation und Kommunikation mit Hindernissen
Im Hinblick auf die Organisation und Kommunikation in der Pfarrgemeinde brachte Corona etliche Veränderungen mit sich. Masken, Abstandsregeln und vorläufige Kirchensperrungen hielten die Pfarrgemeindemitglieder vom Kirchbesuch ab. Auch Taufen oder Firmungen wurden nur in kleinem Rahmen abgehalten oder ganz verschoben. Regeln verkomplizierten die Organisation kirchlicher Messen und Feste, da unter anderem eigene Ordner*innendienste eingesetzt werden mussten. Dass die Informationen nicht immer effektiv weitergeleitet wurden, sowie das ständige Wechseln der Vorgaben, sorgte für Unsicherheit bei den Pfarrgemeindemitgliedern.
„Also wenn man nicht im Kreis des Pfarrgemeinderats war, hat man, wenn man sich nicht regelmäßig aktiv informiert, das heißt Menschen gefragt hat, eigentlich nicht wirklich gewusst, wie es momentan in der Kirche ausschaut.“
Der Pfarrgemeinderat, der Pfarrer und die Pfarrassistentin waren in die Entscheidungsfindung involviert; viele Kirchgänger*innen erhielten ihre Informationen zumeist durch Mundpropaganda. Die verminderte Kontaktmöglichkeit zur Pfarre in Bezug auf Seelsorge trug weiter dazu bei, dass Pfarrgemeindemitglieder sich von der Kirche als rein religiösem Treffpunkt entfernten und rein soziale Zusammenkünfte, ohne direkten Kirchenbezug, verhältnismäßig an Bedeutung zunahmen.
Die Pandemie als Beschleuniger einer Bewegung weg von Kirche
Die älteren Gemeindemitglieder betrauern den Rückgang der Wichtigkeit von Kirche und damit verbunden auch die Reduzierung der Bedeutung der Pfarrgemeinde als kleine, sozial relevante Einheit innerhalb der Gemeinde. Dieser Prozess, den die Pandemie noch weiter beschleunigte, kann auch anhand der schwindenden Kommunikation nach den Messgängen beobachtet werden.
„In der Kirche, wo früher am Kirchenplatz doch eine herzliche Kommunikation stattgefunden hat, ist es jetzt […] so, dass halt die Leute aus der Kirche rausgehen und sofort nach Hause fahren.“
Die Pandemie zeichnet sich hier als Katalysator für gesellschaftliche Veränderungen ab, denn Kirchengänger*innen verlagerten ihre sozialen Kontakte zunehmend in nicht-religiöse Räume.
COVID-19 als Motor der Digitalisierung
Wie auch in anderen Lebenssphären mussten also Alternativen zum tatsächlichen Kirchgang gefunden werden. Kann Kirche digitalisiert werden? Sind digitale Alternativen auch tatsächlich gleichwertige Ersatzangebote? Wir konnten feststellen, dass Änderungen im Hinblick auf eine erweiterte Digitalisierung in einzelnen Bereichen bereits vor der Coronazeit begonnen hatten. Die Pandemie hat diese Veränderungen somit nicht erst ins Rollen gebracht. Die coronabedingten digitalen Angebote wurden zumeist nur von den jüngeren Mitgliedern der Pfarre genutzt. Da Digitalisierung bei ihnen, im Gegensatz zu den älteren Personen, schon im Leben integriert war, brachte dies daher keine große Umstellung mit sich. Es wird von vielen jedoch die Meinung vertreten, dass das Gefühl der Gemeinschaft und der sozialen Interaktion über digitale Sphären nicht in dem Ausmaß entstehen kann, wie dies im persönlichen Kontakt der Fall wäre. Digitale Treffen seien „auf keinen Fall gleichwertig“.
Alter als wesentliches Spaltungsmerkmal
Einer der ausschlaggebenden Faktoren bezüglich der sozialen Veränderungen im Pfarrumfeld war das Alter.
„In die Kirche geht hauptsächlich die ältere Generation und damit ist sie die am meisten betroffene Generation und die hatten natürlich Ängste. Die jüngere Generation, die den Kirchenbesuch sowieso meidet oder nicht so stark involviert ist, die hatte damit kein Problem.“
Die Befragten sprachen von einem Auseinanderdriften der Generationen. Durch den Einsatz digitaler Ersatzangebote kam es zu einer Verstärkung der Distanz zwischen den Generationen innerhalb der Pfarrgemeinde. Wir beobachteten gerade beim Fokus auf die Jugend eine Bewegung weg von der Kirche als religiös bedeutenden Institution, hin zur Wahrnehmung des Pfarrumfelds als rein sozialer Treffpunkt.
„Das Ding ist halt, das sind alles meine Freunde und wir sind alle dort und deswegen gehe ich hin, nicht weil das eine Kirche ist, sondern weil das meine Freunde sind.“
Während die ältere Generation die Sonntagsmesse als einen Fixpunkt in der Wochenplanung beschrieb und hier den größten coronabedingten Einschnitt in ihr Sozialleben verortet, nahm die jüngere Generation die Auswirkungen der Pandemie eher bei außerkirchlichen Treffen innerhalb der Pfarre wahr. Junge Menschen konnten ihre Treffen aufgrund des rein sozialen Fokus leichter in private Räume verlegen, während ältere Menschen hier aufgrund der starken Verankerung in der religiösen Dimension größere Probleme hatten.
Junges Bestreben zur Distanzierung von Religion
Die jüngere Generation unterstreicht zwar die Wichtigkeit der Pfarre innerhalb ihres Soziallebens, distanziert sich aber zunehmend von Kirche und Religion. Die Unbeweglichkeit der Kirche als Institution wird hier als Hindernis wahrgenommen. Wir hören in Gesprächen mit jungen Leuten Sätze wie: „Wir stehen sehr oft an.“ Dieses Gefühl treibt die Jugendlichen von der Kirche zunehmend weg. Innerhalb der Pfarrgemeinde driften also das Traditionelle und das Statische, in Form von Religion und Institution Kirche, sowie das Flexible und das Junge, in Form von sozialen Gemeinschaften innerhalb der Pfarre, immer weiter auseinander. Die Rede ist von jungen Menschen bei denen der „Kirchbesuch [...] nicht immer Nummer Eins [ist]“ und von älteren Personen, welche die Schuld immer bei den jungen Leuten suchen. Aufgrund der immer kleiner werdenden Anzahl an älteren aktiven Pfarrgemeindemitgliedern kann somit von einem Trend weg von Kirche und Religion hin zur Pfarre als einem eher rein sozial verstandenen Treffpunkt gesprochen werden. Die Bedingungen der Pandemie machten diesen Trend sichtbarer und haben ihn noch weiter verstärkt.
Hinweis: Unsere Feldforschung wurde im Rahmen der Lehrveranstaltung „UE Empirische Forschung mit qualitativen Methoden“ im Sommersemester 2022 am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Wien unter Leitung von Dr. Gertrude Saxinger durchgeführt.