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Impfen oder nicht? Wie COVID-19 Impfentscheidungen in sozio-politische Kontexte eingebettet sind

Im Laufe des Jahres 2021 wurden Impfstoffe gegen COVID-19 für die breite Bevölkerung verfügbar (zumindest in Industrienationen). Im Herbst 2021 interviewten wir - Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der SolPan Forschungsgemeinschaft - Menschen in fünf europäischen Ländern zu ihren Erlebnissen während der Pandemie und analysierten diese Interviews bezüglich der individuellen Impfentscheidungen. Ziel dieser kürzlich in der Fachzeitschrift Vaccine veröffentlichten Studie war insbesondere zu zeigen, wie individuelle Impfentscheidungen in das soziokulturelle und politische Umfeld eingebettet sind.

Aus insgesamt 214 Interviews mit Menschen aus Österreich, Deutschland, Italien, Portugal und der deutschsprachigen Schweiz zeigen wir auf, wie Impfentscheidungen durch das direkte Umfeld (Familienmitglieder, Freund*innen, Arbeitsumfeld) aber auch durch behördliche Maßnahmen und öffentliche Debatten geprägt wurden. Einige ließen sich aus der Motivation heraus impfen, Risikopersonen in ihrem Umfeld zu schützen. Andere (insbesondere ältere Personen) wollten nicht, dass sich ihre Kinder und Enkel um ihre Gesundheit sorgten, wenn sie nicht geimpft wären. Darüber hinaus äußerten die Menschen ihre Befürchtungen über die langfristigen gesundheitlichen Folgen von COVID-19 und die sozialen Auswirkungen der Pandemie. In einigen Fällen überwogen diese Gedanken die vorhandene Ängste vor Komplikationen oder unerwünschten Wirkungen des Impfstoffs.

Die Studienteilnehmenden bezogen sich außerdem oft auf die behördlichen Maßnahmen und Empfehlungen von Wissenschaftler*innen und anderen Personen des öffentlichen Lebens. So führten in Portugal beispielsweise organisatorische Elemente (z.B. eine schriftliche Impf-Einladung an alle Bürger*innen) dazu, dass sie eine „soziale Triebkraft" wahrnahmen, die die Menschen zum Impfen ermutigte - etwas das die Menschen in anderen Ländern als bloßen staatlichen Druck, Zwang und autoritäres Handeln empfanden.

In allen Ländern stellten wir fest, dass die Einstellung der Menschen zur Impfung nicht nur entweder gegen oder für die Impfung war, sondern das gesamte Spektrum abdeckte. Um das zu illustrieren, arbeiteten wir sechs idealisierende Entscheidungstypen heraus. Erstens, die “Generell Zuversichtlichen”, diesen fiel die Entscheidung für die COVID-19 Impfung leicht; sie ließen sich sofort impfen, sobald ein Impfstoff für sie verfügbar war und brachten ein hohes Vertrauen in die Behörden und die Wissenschaft zum Ausdruck. Zweitens, die “Zunächst Zögerlichen”, diese warteten zu Beginn der Impfkampagne lieber auf weitere Belege für die Sicherheit der Impfung; sobald Geimpfte in ihrem Umfeld bzw. die öffentlichen Debatten diese bestätigten, ließen sie sich ebenfalls impfen. Drittens, die “Im Nachhinein Ungewissen”, diese bereuten ihre Impfung meist aufgrund von Nebenwirkungen und Unwohlsein, welches sie der Impfung zuschrieben. Auch Debatten über sich permanent wiederholende Auffrischimpfungen ließen einige daran zweifeln, sich noch weiter impfen zu lassen. Viertens, die “Konformen Zweifler”, diese ließen sich trotz Unsicherheit über die Sinnhaftigkeit und/oder Sicherheit der COVID-19 Impfung impfen, insbesondere aufgrund von sozialem Druck, der aus dem direkten Umfeld aber auch über die nationalen Impfkampagnen und Maßnahmen wie z. B. 2G-Regelungen kam. Fünftens, die „Erwägenden Zögerer“, diese waren (noch) nicht geimpft, überlegten sich dies aus den eben genannten Gründen jedoch noch. Einige beschrieben auch große Angst vor Nebenwirkungen und waren ständig mit sich im Clinch, ob eine Impfung nicht doch sicher(er) wäre. Sechstens, die „Generell Ablehnenden“, diese wollten sich aus Prinzip nicht impfen lassen. Sie begründeten ihre Entscheidung damit, sich nicht unter Druck setzen lassen zu wollen und waren Behörden, Wissenschaft und Pharmaindustrie gegenüber generell skeptisch eingestellt oder hielten eine Erkrankung besser für ihr Immunsystem als eine Impfung.

Einige dieser eben beschriebenen Idealtypen ändern ihre Einstellung gegenüber der Impfung über die Zeit während andere eine stabile Meinung haben. Für die politischen Entscheidungsträger*innen bedeutet dies, dass sie Impfentscheidungen nicht auf die zwei Lager Impfbefürworter*innen versus Impfgegner*innen reduzieren sollten. Stattdessen können sich die Einstellungen der Menschen zum Impfen und ihre Auffassungen darüber über die Zeit verändern. Außerdem müssen bei der politischen Entscheidungsfindung neben den klinischen und wissenschaftlichen Daten auch die Erfahrungen der Menschen berücksichtigt werden. Diese Erfahrungen zeigen, wie die individuelle Entscheidungsfindung in den jeweiligen sozio-politischen Kontext eingebettet ist und wie die individuelle Bewertung von Impfungen gleichzeitig auch eine Bewertung ihrer Steuerung ist. Daher sollten Impfkampagnen auch außerhalb von Pandemien als langfristige Projekte betrachtet werden, die auf regelmäßiger Anpassung und Kommunikation beruhen.


Diese Studie wurde in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift veröffentlicht:

Zimmermann, B. M.*, Paul, K. T.*, Araújo, E. R., Buyx, A., Ferstl, S., Fiske, A., Kraus, D., Marelli, L., McLennan, S., Porta, V., Prainsack, B., Radhuber, I., Saxinger, G. (2023). The social and socio-political embeddedness of COVID-19 vaccination decision-making: A five-country qualitative interview study from Europe. Vaccine, available online 16 February 2023 https://doi.org/10.1016/j.vaccine.2023.02.012

Für Medienanfragen wenden Sie sich bitte an Katharina Paul (katharina.t.paul@univie.ac.at) oder Bettina Zimmermann (bettina.zimmermann@tum.de)

Vaccines

©torstensimon/Pixabay