In unserem Artikel „The social meanings of artefacts: Face masks in the COVID-19 pandemic“ (April 2022 in Frontiers of Public Health erschienen) diskutieren wir die verschiedenen Bedeutungen, die das Tragen von Masken für Menschen in fünf europäischen Ländern während des ersten Jahres der COVID-19-Pandemie hatte. Dabei stützen wir uns auf insgesamt 413 qualitative Interviews mit Einwohner*innen aus Österreich, Belgien, Deutschland, Irland und der Schweiz. An zwei verschiedenen Zeitpunkten sprachen wir mit denselben Personen: Das erste Interview führten wir im April 2020, als es noch keine soliden, wissenschaftlichen Erkenntnisse bezüglich der Effektivität und Wirksamkeit von Gesichtsmasken gab. Ein halbes Jahr später, im Oktober 2020, sprachen wir nochmals mit denselben Interviewpartner*innen. Zu diesem Zeitpunkt herrschte in der wissenschaftlichen Gemeinschaft ein allgemeiner Konsens darüber, dass Masken ein wirksames Mittel zur Eindämmung der Pandemie sind.
Zu Beginn der Pandemie wurden Menschen, die einen Mundschutz trugen, oftmals negativ eingestuft und entsprechend behandelt. Dies änderte sich im Herbst 2020: Nun erlebten jene ohne Mundschutz diese Stigmatisierung. Damit zeigen wir einen grundlegenden Wandel in der Wahrnehmung von Masken beginnend mit Skepsis und Unsicherheit im Frühling 2020 bis hin zur allgemeinen Akzeptanz als Schutzinstrument im Oktober desselben Jahres. Des Weiteren zeigen unsere Interviews, dass Masken ein kommunikatives Mittel sind. Menschen kommunizieren mit ihnen nonverbal, also ohne Worte, und demonstrieren mit ihnen moralisches Handeln. Eine belgische Teilnehmerin beschreibt beispielsweise, dass sie die Maske aufsetzt, wenn etwas an ihrer Haustür abgeholt wird. Auch wenn sie dies epidemiologisch nicht für notwendig hält, ist es für sie eine Form der Höflichkeit, und damit der Moral geworden. Darüber hinaus zeigen wir aber auch die Hindernisse für Beziehungen und Kommunikation, die Masken darstellten, auf wie z. B. das Gefühl der Entfremdung im April 2020 oder die Demonstration polarisierter Haltungen im Oktober 2020. Masken wurden auch als Hindernis für die nonverbale Kommunikation wahrgenommen und entsprechend während der COVID-19-Pandemie sowohl als Zeichen des Normalen als auch des Abnormalen identifiziert. So erklärte eine deutsche Teilnehmerin im April, dass sie sich darum sorgt, dass sich die Menschen durch das Tragen von Masken entfremden würden, im Oktober jedoch waren die Teilnehmer*innen fasziniert von der zügigen Übernahme der Maske als täglichen Gebrauchsgegenstand.
Obwohl die Ergebnisse in allen teilnehmenden Ländern ähnlich waren, stellten wir innerhalb der einzelnen Länder individuelle Unterschiede in Bezug auf die Verwendung und Wahrnehmung von Masken fest. Was diese Unterschiede aber eint, ist, dass Masken den Menschen als eine Art Skript dienten: Sie wurden zu sozialen Artefakten und Wegweisern, die helfen, sich während der Pandemie zurechtzufinden.
Unsere qualitative Studie über den Wandel in der Bedeutung und Wahrnehmung von Gesichtsmasken ergänzt bestehende quantitative Untersuchungen, indem sie die Motive des Maskentragens und dessen Einfluss in den Fokus rückt. Unsere Ergebnisse zeigen dabei die Notwendigkeit eines umfassenderen Verständnisses von "wissenschaftlicher Evidenz" in Bezug auf Masken. Bislang beschränkten sich die wissenschaftlichen Erkenntnisse meist auf epidemiologische und infektologische Daten. Dabei fehlt der Blick auf soziale und persönliche Bedeutungen des Maskentragens. Unsere Forschung zeigt, dass diese eine Schlüsselrolle für die Gestaltung von Alltagspraktiken spielen. Dieses Wissen ist wertvoll für politische Entscheidungsträger*innen, die Regeln und Maßnahmen für die Verwendung von Masken ausarbeiten. Die Einhaltung von Vorschriften ist eingebettet in alltägliche Praktiken und kann nur gefördert werden, wenn nicht nur epidemiologische und infektologische Daten, sondern auch soziale und persönliche Bedeutungen Berücksichtigung finden.
Diese Studie wurde in englischer Sprache in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift veröffentlicht:
Schönweitz, Franziska, Johanna Eichinger, Fernandos Ongolly, Wanda Spahl, Janneke Kuiper, Barbara Prainsack, & Bettina Zimmermann. 2022 ‘The social meanings of artefacts: Face masks in the COVID-19 pandemic.’ Frontiers in Public Health.